Soziales Pflichtjahr für Rentner: eine umstrittene Idee

Veröffentlicht am 16 Kommentare zu Soziales Pflichtjahr für Rentner: eine umstrittene Idee
Beitragsbild zeigt Skulptur, die dem Sturm trotzt. Text: Soziales Pflichtjahr für Rentner? Sonst noch was ?

Hier im Blog wurde in der letzten Zeit erfreulich engagiert diskutiert. Zu meinem Artikel über Ehrenamt – Ja, nein, vielleicht – haben besonders viele von Euch ihren Standpunkt beigetragen und von ihren Erfahrungen berichtet. Ich danke Euch dafür. Jeder Kommentar unter diesem Artikel regt zum Nachdenken an. Noch während ich diesen Artikel schrieb, kochte in den Medien zur Abwechslung das Thema soziales Pflichtjahr für Rentner auf und ich fragte im Artikel bereits nach einer ersten Einschätzung von Euch. Eure Meinung dazu war bemerkenswert klar. Und einhellig.

Soziales Pflichtjahr für Rentner – was soll das?

Wo kam das Thema denn auf einmal wieder her? Guess what – meine stärkste Vermutung: Mit Vollgas aus dem Sommerloch. Mit irgendwas muss man ja alarmierend clickbaiten. Wieviel sympathischer sind mir da doch die Blogparaden, mit denen sich durchs Sommerloch geschrieben wird.

Plötzlich zurück aus der Mottenkiste

Die Erste, die in diesem Jahr mit dieser Forderung um die Ecke kam, war die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder. In einer großen deutschen Sonntagszeitung stellte sie (online hinter einer Paywall) diese Forderung. Ich habe mir für Euch die Mühe gemacht und hinter die Paywall geschaut. Der Artikel enthält eine ganze Suada über alles, was gerade nicht rund läuft in diesem Land. Über Infrastruktur und Digitalisierung hin zur Migration.

Daraus wird geschlussfolgert – in einem einzigen kurzen Absatz am Schluß der Suada – die Älteren hinterlassen den nachfolgenden Generationen einen Sauhaufen und da wäre es doch das Mindeste, wenn Rentner ein soziales Pflichtjahr ableisten würden. In einem frei zugänglichen Video wird Frau Schröder dazu interviewt und schiebt gönnerhaft ein „Mir würden 20 Stunden wöchentlich“ schon reichen. Uff. Reizend. Rücksichtsvoll. Da bleibt immerhin noch genug Zeit zum Flaschensammeln für die, die sich auf die staatliche Rente verlassen müssen. Glück gehabt.

Beängstigender Eingriff in die persönliche Willensfreiheit

In sozialen Medien ging es erwartbar rund. Nicht wenige waren begeistert. Die dämlichen Boomer, sollen ruhig büßen für das, was sie angerichtet haben. Andere wehrten sich vehement gegen Unterstellung und Schlußfolgerung. Was mich persönlich zunächst am meisten gewundert hat an dieser Geschichte: Frau Schröder ist ziemlich präsent in sozialen Medien und vertritt ihre Thesen dorteher vor dem Hintergrund, dass persönliche Willensfreiheit ein hohes Gut und zu bewahren ist. Und dann schlägt sie einen ultimativen Eingriff in eben jene persönliche Willensfreiheit vor. Eigenartig. Später ruderte sie denn auch zurück und gab zu Protokoll, dass hätte nur eine Provokation sein sollen. Die Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr würde gemeinhin an Jüngere gestellt und sie habe nur einen Spiegel vorhalten wolle. Ach so. Ja dann. Iss klar.

Stets der Solidargemeinschaft zu Diensten

Vielen Dank für den Blick in den Spiegel. Wisst Ihr, was ich dort sehe? Ich sagte schon im Ehrenamt Eintrag, dass ich nicht das Gefühl habe, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu müssen. Ganz im Gegenteil. Soll ich mal vorrechnen? Stichpunkt Steuern: Ich habe mein ganzes Arbeitsleben lang ganz locker zwei Bürgergeld Empfänger monatlich alleine finanziert. Mindestens. Stichpunkt Rente: Elon Musk müsste auf dem Mars schon die Formel für Lebensalter 150 finden, damit ich das rauskriege, was ich eingezahlt habe. Hätte ich die Beiträge, die ich in die Rentenkasse eingezahlt habe, selbst gespart und angelegt, bei im Durchschnitt 2 Prozent, hätte ich ein überaus auskömmliches Einkommen (Zinseszinsen nicht eingerechnet und über einen Zeitraum von 40 Jahren sind die 2 % tiefgestapelt) So aber ist die staatliche Rente für mich allenfalls mein drittes Standbein. Bitte gerne Solidargemeinschaft. Stets zu Diensten.

Ich habe zwei Kinder großgezogen, die heute ebenfalls erkleckliche Summen in die Solidargemeinschaft schießen, ich habe meine Eltern gepflegt und die Frage: Wie macht man ein kleines Vermögen? beantworte ich mit einem „in dem ich ein großes Vermögen an Sozialabgaben und Steuern zahle“ Dennoch habe ich auf eigene Faust vorgesorgt und mir einen stabilen Rahmen ermöglicht. Der mir jetzt dafür dienen soll, dass ich unentgeltlich der Gesellschaft im sozialen Pflichtjahr diene? Lasst mich kurz überlegen! : Ähem, nein.

Sonst noch was? Sonst noch Wünsche, was wir Alten für die Gesellschaft tun können?

Nun, ich bin mir sicher, die Skala an absurden Forderungen und Zumutungen ist nach oben offen. Da habe ich keine Zweifel. Wie man aus den Kommentaren im Ehrenamt Eintrag sieht: Ihr seid meiner Meinung. Absoluter Gleichklang. Eure Kommentare sprechen Bände. Alle finden es absolut inakzeptabel, so etwas aufgezwungen zu bekommen. Nicht wenige sind bereit, dagegen auf die Barrikaden zu gehen. Interessanterweise sind sich in diesem Punkt alle einig. Auch die, die sich ehrenamtlich engagieren.

Skulptur in Blavand, eine Figur, die dem Sturm standhält
Wir haben schon ganz anderen Stürmen standgehalten!

Was mich ja auch ärgert: Diese Lippenbekenntnisse an besonderen Tagen. Bald haben wir wieder den Tag der älteren Generation. Da wird es wieder kommen: Ach, wie wertvoll die ältere Generation doch ist. Wie viel sie zu geben hat, wie viel man von ihr lernen kann. Weiß ich jetzt schon. Jedes Jahr das gleiche. Oft gepaart mit salbungsvollen Ratschlägen, wie man doch das Alter genießen kann. Welche sich oft in „genug trinken“ erschöpfen. Wie sich das mit der Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr für Rentner verträgt – das wird nicht erklärt.

An dieser Stelle mache ich einen Gegenvorschlag: Ich bin für ein soziales Pflichtjahr für Politiker. Vor allem für die Berufspolitiker, die noch nicht einen einzigen Handschlag gearbeitet haben. Aber meinen verfügen zu können, dass der Dachdecker bis 67 auf Dächern herumkraxelt, um danach ein Jahr lang soziale Pflichten zu erfüllen.

Soziales Pflichtjahr für Rentner stößt auf Widerstand

Nein. Scherz. Meine Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr für Politiker ist nur als Provokation gedacht. Was Frau Schröder kann, kann ich schon lange. Also im Ernst: Ich bin auch nicht für ein soziales Pflichtjahr für jüngere. Ich bin überhaupt nicht für derart extreme Eingriffe in die persönliche Freiheit. Alleine die Vorstellung finde ich unerhört. Ich habe in den 80ern etliche Freunde bei der Vorbereitung für die Anhörungen zum Zivildienst begleitet und fand es schon damals extrem übergriffig. Nicht nur die Anhörungen, die natürlich auch sondergleichen. Aber auch die Tatsache, dass der Staat es sich herausnahm, jungen Männern Jahre ihrer Jugend zu nehmen.

Nicht wir Rentner sind das Problem, sondern die Politiker: Gegenvorschlag zum sozialen Pflichtjahr

Aber ich will hier nicht nur die Tastaturkriegerin geben. Das muss und kann doch anders gehen. Mein Gegenvorschlag zum Zwang: Macht das freiwillige soziale Jahr attraktiver. Macht den Bundesfreiwilligendienst attraktiver. Setzt die Hebel da an, wo bereits Voraussetzungen geschaffen wurden. Ich kenne so viele jüngere Leute, die sich in dieser Richtung informiert und beworben haben. Vielen wurde es unnötig schwergemacht, wenige haben durchgezogen. Auch weil es an gesellschaftlicher Anerkennung für diese Jahre fehlt. Im Lebenslauf wird ein FSJ immer noch zu oft als „der wusste nichts mit sich anzufangen“ gelesen.

Macht das Ehrenamt attraktiver, sorgt für Würdigung nicht nur in Sonntagsreden. Für die Pflege von Angehörigen zum Beispiel bekommt man unter bestimmten Voraussetzungen Rentenpunkte angerechnet. Zwar auch noch in eher homöopathischen Dosen, aber immerhin. Das fände ich auch einen guten Ansatz für die, die sich bewundernswerterweise ehrenamtlich engagieren. Warum sollten Ehrenamtliche nicht auch monetär profitieren?

Was haltet Ihr vom sozialen Pflichtjahr für Rentner? Welche alternativen Ideen und Vorschläge habt Ihr? Was wäre eine Überlegung wert?

Von Britta Langhoff

Bloggerin und Autorin Ehefrau, Mutter, Hundemama und Bootsfrau Ich schreibe für Menschen, die auch im Alter ihr bestes Leben leben. Die ihre Freiheit genießen und Träume verwirklichen.

16 Kommentare

  1. Dein Vorschlag, dass Politiker ein soziales Jahr machen sollten, finde ich richtig gut, und ich meine das wirklich ernst, nicht als Provokation. Besonders wenn sie nach ihrer politischen Karriere aussteigen, könnten sie den Steuerzahlern auf diese Weise etwas zurückgeben, anstatt direkt als Lobbyisten weiterzumachen. Es wäre ein sinnvoller Schritt, um zu zeigen, dass ihnen das Gemeinwohl tatsächlich am Herzen liegt und sie bereit sind, selbst aktiv etwas zu leisten.

    1. Hallo Adam, danke für Deinen Kommentar. Grundsätzlich könnten Überlegungen, wie Politiker aller Couleur näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen sein könnten, sicher sinnvoll sein. Aber auch hier wäre ich eher nicht für Zwang, sondern für mehr Möglichkeiten.
      Liebe Grüße und sorry, dass es länger gedauert hat mit dem freischalten. Ich hatte ein paar Tage auf See und so gut wie kein Netz.
      Liebe Grüße
      Britta

  2. Liebe Brigitte,
    ich bin da in allen Punkten ganz bei dir.
    Bei Frau Schröder klingeln mir die Ohren.
    Sie hat doch mal die goldenen Schürze erhalten und wie ich finde zurecht. Kannst du ja mal googeln.
    Ein Pflichtjahr für Rentner finde ich mehr als einen unverschämten Gedanken!
    Liebe Grüße!

    1. Liebe Jenny,
      ja, muss ich mal googeln. Hab ich tatsächlich irgendwie nicht mitgekriegt. Mir kommt sie in den letzten Monaten öfter auf Twitter unter und ich fand sie da eigentlich tatsächlich recht reflektiert und gut argumentierend. Und dann kommt sie mit so einem Stunt um die Ecke. Das hat mich echt irritiert.
      Liebe Grüße
      Britta

  3. Es wurde alles gesagt, von den Schreibern vor mir. Auch ich bin dafür, dass die Politiker mal auf Dächer, in Reinigungsjobs oder bei den Straßenbauern… usw anpacken. Ja unsere Gedanken sind nur Provokationen. 😁 Es gibt schon so viele, die Ehrenamtlich den Staat unter die Arme greifen. Das sogar sehr gerne tun und nun dieses Pflichtgehabe von der Frau Schröder ist der Hohn an diese vielen Leute. Oh man, die Wut steigt in mir auf.
    Schönes Wochende für euch, Toi Toi Toi dafür. 🤗

    1. Provokationen denken kann auch schon mal ganz gut tun….. Lassen wir uns nicht ärgern. Die Resonanz auf meinen Artikel und auch auf den über Ehrenamt zeigt wohl ganz repräsentativ, dass sich dafür wohl kaum eine Mehrheit finden wird.
      Ich wünsch Euch auch ein ganz besonders schönes Wochenende, Grüße zu Euch
      Lasst es Euch gutgehen.

  4. Ich finde diese Idee so unfassbar unverschämt dass ich dafür keine Worte hab! Arbeiten bis 150 und dann auch noch die eh schon so „üppige“ Rente besteuern! Und weil das alles nicht reicht dann nochmal arbeiten schicken! Kann man sich echt nicht ausdenken! Mehr kann ich dazu nicht schreiben sonst explodiere ich…!!

    1. Was mir auch erst so im Nachhinein aufgefallen ist: Meine und Deine Generation – wir sind ja noch die, die ziemlich früh im Leben angefangen haben, zu arbeiten. Der Anteil der Akademiker bei den Berufsanfängern ist ja erst seit 2-3 Generationen so hoch. Sprich, die die das jetzt fordern, sind kaum diejenigen, die eine Lebensarbeitszeit von 40 und mehr Jahren schaffen werden…..
      Das ist alles mal wieder sowas von….. ach, ich sag auch nichts mehr. Besser ist das :))

  5. Ich möchte nicht in die verallgemeinernde Politikerschelte einstimmen, das überlasse ich den widerlichen Nazis der Alternative für Deppen. Aber Pflichtjahre lehne ich generell ab, ich hatte das 15 Monate beim Militär. Man kann gerne finanziell attraktive Angebote im sozialen Bereich schaffen, dann finden sich bestimmt dankbare Abnehmer, jung und alt.

    1. Ich denke auch, dass dies ein guter Weg wäre. Es gibt ja doch genug Menschen jeden Alters, die noch einen Nebenjob haben/ brauchen. Angenommen, man würde Ehrenämter und soziale Dienste finanziell attraktiver gestalten, wäre das sicher eine gute Ausgangslage und würde auf beiden Seiten Probleme lösen.
      Und ganz generell: Mit Zwang und Verpflichtung kommt man nie weit, schon gar nicht bei unserer Generation.

  6. Bei einigen Politikern würde es mir schon reichen, wenn sie mal testen müssten, wie es sich mit einem „normalen“ Einkommen so lebt. Ob ich dem Rest der Menschheit den Politiker in seinem sozialen Pflichtjahr zumuten wöllte – ich weiß ja nicht… 😉
    Am Ende geht´s halt nur darum, auch mal im Gespräch gewesen zu sein. Mit guten Ideen funktioniert das aber leider nicht, da braucht es immer gleich die Provokation. Da da eine ganze Menge potentielle Wähler betroffen wären, braucht man sich als (zukünftiger) Rentner aber sicher keine Sorgen machen. Die Angst, Wähler zu verlieren hat schon so manch gute Idee vor der Umsetzung bewahrt. Da wird es mit so einer schlechten Idee nicht anders laufen.

    1. Ich hoffe, Du behältst da Recht. Wie auch mit einigen anderen sehr schlechten Ideen der letzten Zeit. Derzeit würde mich kaum noch was überraschen.
      Ja, es ist traurig. Nur noch Provokationen werden gehört, mit normalen Tönen kommt man im Zeitalter des Clickbait nicht mehr weit. Ich glaube wirklich, dass dieses aufgeregte, sich übertrumpfen wollende Grundrauschen ein sehr effektives Hindernis auf dem Weg zu echten Problemlösungen ist.
      Liebe Grüße
      Britta

  7. Ich bin für ein soziales Pflichtjahr für Politiker. Damit sie mitreden können, wie es im wahren Leben zugeht 😀
    Aber mal ganz ehrlich: Es fehlen „Typen“ in der Politik, die wirklich nah an den Bürgern sind. Zumindest in der Bundespolitik empfinde ich es so. Und das ist noch sehr gelinde ausgedrückt.

    Da ist es doch leicht, jetzt auf die Boomer zu schimpfen, die sich jahrzehnte den Allerwertesten aufgerissen haben. Wir können doch noch locker mit 80 auf den Dächern rumkriechen, oder etwa nicht? Und zusätzlich noch ein soziales Jahr. Mindestens eins.

    Liebe Grüße
    Sabine

    1. Ja, ich würde mir auch mehr Politiker wünschen, die aus der Praxis, dem ganz normalen Leben kommen. ich kenne auf lokaler Ebene einige, denen ich vieles Gute zutrauen würde. Die ackern sich auf der lokalen Ebene ab und müssen nicht selten glattbügeln, was in Elfenbeintürmen verhackstückt wird. Und ihre Chancen, im Parteiendschungel aufzusteigen, sind sehr gering. So deren Aussage.
      Und diese Boomer-Hetze finde ich auch echt billig. Kurzsichtig noch dazu. Denn wir sind ja nicht eben wenige. Aber wahrscheinlich denken die von uns, dass das Internet für uns Neuland ist und sie sich dort ungeniert austoben und bei anderen Wählergruppen vermeintlich unauffällig anbiedern können. Die das zu einem großen Teil aber durchaus durchschauen. Ach ja, ein weites Feld. Man könnte lang und breit da drüber klagen.
      Ich wünsch Dir ein schönes Wochenende, liebe Bine
      Liebe Grüße
      Britta

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