Wir haben die Welt immer dabei. Wir tragen sie mit uns. Die große weite Welt mit ihren Freuden, ihren Schrecken, mit ihrer Aufmerksamkeitsheischerei. Unsere eigene kleine Welt mit ihren Freuden, aber auch mit ihren to-dos, Rechnungen, Pflichten, den ‚Kannsse ma‘ und den ‚hasse ma‘. Unsere Welten sind nur einen smarten Griff und einen Klick weit entfernt. Je näher die Welt uns ist, desto ferner ist hingegen eine Auszeit von ihr.
Auszeit auf dem See
Manchmal wird mir die Welt zuviel. Die große Welt und die kleine auch. Manchmal mag ich die drei Affen in Personalunion sein. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Auch nichts schreiben. Nichts müssen. Einfach nur sein.
Letzte Woche saß ich an Deck unserer Aquamarijn. Wir waren auf unserem zweiten Törn der Bootssaison und an diesem Tag weit draußen auf einem der Seen der friese Meren. Einen idyllischen Platz hatten wir gefunden in der Bucht einer großen Marrekrite1 Insel. Vor uns unverbaubarer Seeblick, hinter und neben uns Bäume, Sträucher, Wiesen. Wir hörten das Gluckern des Wassers, das leise Plätschern auslaufender Seewellen, das Rauschen des Windes in verschiedenen Windstärken, Blesshühner meckerten, ein Kuckuck kuckuckte vor sich hin. Mal schien die Sonne, mal malten Wolken unvergleichliche Bilder.
Ein regnerischer Tag, eigentlich wäre es einer der hellen Tage gewesen. Abends gab es rain in Flammen. Die Sonne so: Wenn ich mich den ganzen Tag nicht zeige, dann kann ich abends auch dramatisch untergehen. Orange, dann rot und zum Schluss violett. Das geht so hoch im Norden auch ganz ohne Polar. Irgendwann verschwand das Licht und wir wurden daran erinnert, wie dunkel eigentlich dunkel ist. Keine Lichter außer unseren eigenen, zwischen den Wolken die Sterne, der Mond.2 Ein perfekter Ort für eine Atempause. Eine Auszeit mit uns selbst, für uns selbst.
Auszeit nehmen, um Abstand zu gewinnen
Für den Moment, für ein paar Tage reichte mir das voll und ganz. Ich war einmal mehr dankbar, dass wir uns diesen Traum erfüllt haben. Einige Tage können wir prima autark leben auf unserem Boot, einige Tage am Stück gehen mit nur der Zivilisation, die wir mit uns führen. Willkommener Nebeneffekt: Wir leben an diesen Tagen auch konsumtechnisch extrem zurückgenommen. Ich vermisse nichts an diesen Tagen, weil ich meinen eigentlichen Luxus habe: Zeit. Dazu eine Atmosphäre, die entspannter gar nicht sein könnte. Und mir den größtmöglichen Abstand bietet. Ich kann das nirgends besser als mitten auf dem Wasser. Dieses „ab vom Land“ sein vereinfacht das Gefühl, für eine Zeitlang „ab vonne Welt“ zu sein. Manchmal brauche ich das für meinen Seelenfrieden. Durchatmen, um wieder atmen zu können. Um mich anschließend der Welt wieder stellen zu können.
Die Welt liegt nur um die Ecke
Gefühlt liegt die Welt an diesen Tagen meilenweit weg. Weiter weg als die knappe halbe Stunde Bootsfahrt, die wir vom nächsten Ort weg sind. Aber – die Welt ist ja nicht so weit weg, wie sich das in diesen Momenten anfühlt. Die Welt liegt ja nur um die Ecke. Ich muss nur smart greifen und mit einem Klick bin ich zurück in der Welt. Doch ich merke an solchen Tagen immer, dass ich eine regelrechte Scheu davor entwickele, wieder in die Welt zurück zu kehren. Zugegeben: Ganz ohne Handy geht es auch an diesen Tagen nicht. Wir liegen nur an einer Insel – wir selbst sind keine. Ich will schon wissen, ob es den Jungs gut geht, ob da alles in Ordnung ist. Der Gatte muss mit seinen Eltern telefonieren, das geht nicht anders.
Spontan die Atempause verlängern
An diesen Tagen zögere ich den Moment immer raus, in dem ich mich kurz in die Welt einklinke. Um Nachrichten mache ich einen großen Bogen, die nächste Katastrophe findet garantiert auch ohne mich statt. Widerwillig wird noch der derzeit nicht ganz so zuverlässige Buienradar gecheckt, schließlich sind wir mitten auf dem Wasser. Oh Sturmwarnung, ja dann nicht. Spontane Auszeit-Verlängerung Dann bleiben wir noch einen Tag länger an der schönen Marrekrite, das gibt der Bordvorrat locker noch her. Auch der Flusenbär ist zufrieden, genug zu essen, Zeit zu chillen und auf der Insel ist auch viel Platz zum Toben und rumschnüffeln. Aufatmend wird das Handy weggelegt. Ich kann die Welt noch ein bißchen länger ausschalten und einfach nur sein.
Auszeit ist auch Selbstfürsorge
Wir haben die Welt immer dabei. Dadurch ist die Welt kleiner geworden aber sie dringt immer mehr in unsere eigene kleine Welt ein. Die Auszeit zeigt mir deutlich, dass ich damit nicht nur an solchen Tagen, sondern an allen Tagen achtsam umgehen muss. Es ist so erholsam, ein paar Tage nicht zu lesen, was alles im Argen liegt, was alles droht. Was man zu tun hat oder auch eben gerade nicht mehr tun sollte, um achtsam mit den Befindlichkeiten und Ressourcen aller umzugehen. Schont nur nicht die eigenen Ressourcen. Deutlich merke ich, dass eine Auszeit auch Selbstfürsorge bedeutet und so so wichtig für das eigene Wohlbefinden ist.
Was man mit Abstand noch so sieht
Abstand vom Alltag, Abstand vom Weltgeschehen tut manchmal dringend not. Nicht nur aus Gründen der Selbstfürsorge. Denn mit Abstand sieht man manches klarer. Weil man merkt, was man nicht vermisst. Moralinsaure Zeigefinger von Wasser predigenden, Wein saufenden Zeitgenossen zum Beispiel. Jetzt – ein paar Tage nach dem Wahlsonntag wäre ich schon wieder bereit für die Insel. Noch besser fände ich allerdings, wenn Entscheidungsträger aller Couleur sich gelegentlich auch Zeit für Abstand nehmen würden. Vielleicht würden sie dann verstehen, dass Arroganz, Beschimpfung, verächtlich Machung ebenso wie Bevormundung und Gängelung schlicht und ergreifend nicht funktionieren. Das aber nur so by the way. Auch ganz ohne das bleibt
Mein Fazit:
Es ist so wichtig, mal loszulassen, Kraft zu tanken und die Seele baumeln zu lassen. Auszeiten sind wichtig. Egal, wo und wie man sie sich nimmt. Auch ich kann nicht immer an oder auf einer Insel sein. Aber sich eine sichere Zone zu schaffen, wo man sich Zeit für sich selbst, für das einfach nur da sein nimmt – das geht überall.
Wie ist das bei Euch? Braucht Ihr auch manchmal dringend eine Atempause von der Welt? Aus-Knopf drücken und digital detox, wie es neudeutsch so schön heißt? Erzählt mal, wie Ihr damit umgeht. Welche Inseln schafft Ihr Euch? Ich allerdings hab jetzt gerade total Lust auf die Welt und gehe erstmal gucken, was Ihr alles Schönes gebloggt habt, während ich dem Kuckuck zugehört habe.
- Die Marrekrite ist ein Gemeinschaftsprojekt der niederländischen Provinz Friesland und ihrer Gemeinden. Sie sind quasi Experten in Sachen Auszeit. Unter anderem bauen und pflegen sie kostenfreie Boots-Anlegeplätze in der freien Natur. Zur Finanzierung wird jährlich um den Kauf eines Wimpels gebeten, wir haben bereits eine farbenfrohe stattliche Sammlung. ↩︎
- Einige Gebiete der friesischen Seenplatte haben mittlerweile ganz offiziell das Prädikat dark sky. Das ist eine weltweite Initiative, die Orte auszeichnet, die frei von Lichtverschmutzung sind und in der man Dunkelheit erleben kann, wie sie wirklich ist. Der See, an dem wir waren, gehört noch nicht ganz dazu, weil in der Ferne noch Lichter von Land zu sehen sind. Die dark sky Gebiet des Nationalparks Alde Feanen und des Lauwersmeers sind aber nicht mehr weit entfernt. ↩︎
Hey,
da hast du absolut recht!
Ich versuche es genauso zu handhaben, aber im Alltag ist es oft nicht einfach umzusetzen.
Liebe Grüße!
Das stimmt. Im Alltag geht das leider echt oft unter. Umso wichtiger, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Liebe Grüße auch an Dich !
Wow, so toll geschrieben. Wenn ich so deine Fotos sehe. Dann denke ich an Usedom, wo wir vor 2 Wochen waren.
Mehr brauche ich wirklich nicht.
Herzliche Grüße
Elke
Danke schön liebe Elke !
Mich macht auch alleine der Blick aufs Wasser glücklich 🙂
Liebe Grüße
Britta
Wunderschön geschrieben 🤩🫶
Wenn wir mit dem Umbauen fertig sind werde ich (Bine ) öfters einmal hier vorbeischauen.
Liebe Grüße von Bine & Jogi
Liebe Bine,
das freut mich sehr. wenn wir uns auch außerhalb von Insta verbinden. Ich bin ein bißchen Insta-genervt und ich glaub, Dir geht es ähnlich. Umso schöner, wenn wir uns auch auf unseren anderen eigenen Kanälen treffen.
Ich verfolge Euren Ausbau ja auch auf Youtube sehr gespannt.
Liebe Grüße auch an Jogi
und vielleicht kommt Ihr ja sogar mit Eurem tollen neuen Wohnmobil in NL vorbei !
Deine Worte wecken definitiv die Sehnsucht nach einer Auszeit und etwas Abstand vom alltäglichen Trubel. Ich kann zwar hier wunderbar mal Zeit für mich und mit mir verbringen. Man ist dann aber auch ganz schnell wieder im Trott. So ein paar Tage ganz weit weg (zumindest gefühlt) klingen verführerisch. Ich tauche ja am liebsten einfach ab, und zwar wortwörtlich. Keiner, der quatscht, nur Fische und Wasser, in dem man sich treiben lassen kann. Da bin ich dann sofort tiefenentspannt. Wenn alles glatt läuft, ist es im November mal wieder so weit. Daumen drücken!
Auf jeden Fall drück ich Dir die Daumen! Ganz ganz fest. Das kann ich mir vorstellen, dass abtauchen ein Garant für absolute Auszeit ist.
Und mir geht es auch so, ich kann das mit der Auszeit am besten, wenn ich weit weg von allem bin. Da bin ich ganz so schnell soweit, dass ich auch tatsächlich gar nichts anderes möchte in diesen Zeiten.
Liebe Grüße
Britta
Genau DAS!!! Du sprichst mir aus der Seele! Deshalb bin ich so scharf auf einsame Plätze im Wald oder am Fuß der Berge, wo wir komplett allein in der Natur sind! Und ich bin dann so froh dass wir klein Otto haben und an Plätzen stehen können wo wir wirklich allein sind weil dort kein Wohnmobil oder Wohnwagen hinkommt…! Ich feiere das immer sooo hart! Wenn wir auf Tour sind dann lese ich auch keine Nachrichten und lasse die Zivilisation draußen vor der Natur (genügend Handyempfang gibt es ja oft eh nicht)! Aber kurze Lebenszeichen in Form von Fotos oder kurzen „Guten Morgen“ Whatsapps schicke ich wenn möglich doch los denn schließlich wollen die Lieben ja wissen dass wir noch leben und alles in Ordnung ist…!
Diese Auszeiten sind so unbezahlbar…
Oh ja – da sind wir uns ganz ähnlich. Eigentlich bin ich ja auch schon reduzierter in den Dingen, die mich stressen. Aber ich brauch das immer noch – weit weg von allem und allet.
Komplett allein in der Natur – das ist einfach so ein besonderes Erlebnis, das weiß ich auch so zu schätzen.
Wenn Ihr mit Otto im Wald seid, dann empfindet Ihr das mit dem Dunkel doch bestimmt auch ganz genauso? Das ist für mich immer noch eine der erstaunlichsten Erfahrungen im Outback….
Definitiv! Das ist noch mal eine ganz andere Form von Dunkelheit! Ich nenne es sogar Finsternis, obwohl das ja eigentlich bedrohlich klingt! Aber ich finde das absolut nicht bedrohlich sondern eher umarmend…! Bedroht fühle ich mich nie und ich hab auch nie Angst! Es ist 100x gefährlicher abends durch Dortmund zu laufen als im Wald zu campen…
Und die Sternenhimmel sind sooo gigantisch…! Und ich liebe die zirpenden Grillen in warmen Sommernächten…
Unvergessen auch die Nacht der Glühwürmchen die wir vorletztes Jahr erleben durften…
Ja, das denke ich auch immer, wenn mich jemand fragt, ob das nicht unheimlich ist, so weit draußen ganz alleine. Da fallen mir auch zig andere Orte ein, die mir unheimlicher sind….
Grillen gibt es in NL nicht so, Glühwürmchen auch nicht. Da kann ich mich dran erinnern, wie begeistert Ihr wart. Erfahrungen, die eigentlich erstmal profan klingen, aber so besonders sind….
Liebe Britta,
was für ein sehnsuchtsbefördernder Bericht von dir. ICH WILL AUCH! Ich habe gespürt, du hast mich mitgenommen, mir die Dunkelheit und den Regen, die Sonne und Insel, die Stille und Langsamkeit, das Seelebaumeln gezeigt.
Danke für diese Auszeit, die ich beim Lesen genießen durfte!
Meine nächste „Wegvonallemzeit“ habe ich noch nicht terminiert, aber sie kommt, ganz sicher – irgendwann im Laufe des Sommers.
Herzliche Grüße in deine Welt
Gabi
Liebe Gabi,
ja, das ist so. Sehnsucht ist ein Notfall. Sehr gerne hab ich Dich mitgenommen. Ich freue mich, dass Du es fühlen konntest.
Ja, bestimmt. Deine nächste WegvonallemZeit wird dann kommen, wenn Du sie brauchst. Ganz bestimmt.
Liebe Grüße
Britta
Wir haben ja in der Kindheit und Jugend auch andere Zeiten erlebt: Morgens Zeitung, abends Tagesschau, dazwischen gar nichts an News. Hat alles seine Vor- und Nachteile, aber gegen mehr Auszeiten hätte ich nichts einzuwenden. Schon fast ein Wunder, dass wir (noch) nicht verrückt geworden sind… :))
Das ist wahrlich ein Wunder. Ich versuche auch, an normalen Tagen den Nachrichten-Fluss in für mich erträgliche Bahnen zu lenken. Ich bin z.b. auf Twitter allen Nachrichten-Accounts entfolgt und hab die in einer Liste zusammengefasst. So kann ich das steuern, wann ich da rein gucke und wieviel ich mitkriege. Ich hör ja viel Radio und geh mal davon aus, dass ich es dort erfahre, wenn etwas passiert, was ich zwischendurch unbedingt wissen muss.
Auf, dass wir nie verrückt werden. Also noch verrückter als wir eh schon sind.